Rezension
Dieser anlässlich der von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften organisierten internationalen Tagung „Aufgeklärte Sozietäten, Literatur und Wissenschaft in Mitteleuropa“, mit Unterstützung der Alexander von Humboldt Stiftung erschienene Band bietet ein Kompendium grundlegender Texte zur Erforschung der gelehrten Gesellschaften, die sich in Ungarn ab Mitte des 18. Jahrhunderts verbreiten und deren Gründung mit der Entstehung von Freimaurerlogen einhergeht.
Dabei verfolgen die Herausgeber ein doppeltes Ziel. Einerseits veröffentlichen sie bereits andernorts publizierte Texte, deren Bedeutung für die geistige Entwicklung des Landes sie durch die Einbindung in diesen neuen Kontext hervorzuheben und dementsprechend zu würdigen trachten. Andererseits erweitern sie den Corpus der der Forschung zugänglichen Zeugnisse durch die englische Übersetzung von acht bisher nur in ungarischer Sprache bekannten Dokumenten und bleiben damit den weitgehend von Gábor Tüskés eingeleiteten Bemühungen treu, namhafte Vertreter des Geisteslebens seines Landes durch die Förderung der Übersetzung ihrer Werke europäischen Forschern bekannt zu machen und auf diese Weise allgemein deren Zugehörigkeit zu den intellektuellen Strömungen ihrer Zeit zu belegen, so dass deren aktuelle internationale Beschäftigung mit ihnen sich letztlich in die Kontinuität eines bereits begonnenen Dialogs einreiht.
Insofern erscheint diese Publikation auch als Teil einer lebendigen Auseinandersetzung mit den Quellen der eigenen Entstehungsgeschichte, deren Methodologie und Zielsetzung in der Tat von den edierten Texten propagiert wird. Sie dokumentiert nämlich das geistige Klima und die strukturellen Ansätze, die der Gründung der Akademie der Wissenschaften vorangegangen sind und ihre Orientierungen mitbestimmt haben. Sie belegt in der Tat den Einsatz maßgeblicher ungarischer Dichter und Denker, um auf verschiedenen Ebenen an den europäischen Entwicklungen ihres Jahrhunderts teilzunehmen und sie in ihrem Land trotz eines gewissen Bildungsrückstands und fehlender Strukturen zu verwirklichen. So besteht denn auch ihr Interesse darin, dass sie sich nicht nur auf die Entwürfe für wissenschaftliche Gesellschaften aller Art beschränkt, sondern auch Auszüge aus Ferenc Kazinczys umfangreichen Briefwechsel mit seinen Zeitgenossen einbezieht. Jener erscheint in diesem Zusammenhang als ein zentraler Beitrag zum Verständnis dieser Aufbruchsstimmung, die im Rahmen der Aufklärung versucht, den eigenen Bedingungen des Landes angepasste Formen des gelehrten Dialogs ins Leben zu rufen, zunächst aber darauf angewiesen ist, durch Vulgarisierung sich selbst ein Publikum zu schaffen, das die Aufgeschlossenheit besitzt, an dem enzyklopädischen Bildungs-und Emanzipationsprozess teilzuhaben und ihn persönlich zu bereichern und zu befördern.
Kazinczys Beispiel zeigt unserer Meinung nach am deutlichsten, dass ein solches Unterfangen unter den damaligen, durch die Eingliederung in das Habsburgische Herrschaftssystem verstärkten autoritären Bedingungen ohne eine gewisse Geheimhaltung undenkbar war. Sie war zum Schutz der Gedanken- und Debattierfreiheit der Wissenschaftler und Schriftsteller unabdinglich, die sich der Brisanz der von ihnen vertretenen Ideen bewusst waren, da sie das tradierte Weltbild ebenso wie die darauf gegründete staatliche und politische Ordnung in Frage stellten. Gleichzeitig zeugte diese Vorsicht jedoch auch von deren Verantwortungsbewusstsein und deren ungebrochenes Vertrauen in den aufgeklärten Absolutismus, indem sie ein Mittel zur Verhütung des Missbrauchs des sich im Zuge der Säkularisierung verbreitenden kritischen Denkens zu gewaltsamen Machtveränderungen war. Kazinczys Briefwechsel offenbart ganz deutlich, dass die Gründung und Verbreitung der gelehrten Sozietäten ohne die Verbindung ihrer wichtigsten Akteure zur Freimaurerei so gut wie unmöglich gewesen wäre, dass letztere aber grundsätzlich in keiner Weise mit umstürzlerischen Plänen zu assoziieren ist.
Insofern beleuchtet der vorliegende Band denn auch die relativ engen Grenzen, innerhalb derer sich die ungarischen Emanzipationsbestrebungen entfalten konnten, die letztlich nur weiterwirken konnten, weil die Freimaurer-Logen ein Netzwerk geschaffen hatten, das auf der persönlichen Ebene seine eigene Zerschlagung weitgehend überlebte. In der Tat führten überhaupt nur die Entwürfe für zwei wissenschaftliche Gesellschaften zu deren effektiver Gründung: so die „Preßburger Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften“ und die „Transsilvanische Gesellschaft zur Pflege der ungarischen Sprache“ in Cluj/Klausenburg/Kolozsvár, deren Lebensdauer ebenso kurzfristig blieb wie die der in den geistigen Zentren des Landes ins Leben gerufenen Zeitschriften, deren bekanntestes Beispiel wohl der „Ungarische Merkur“ sein dürfte. Deswegen scheint Réka Lengyel zufolge das Freimaurertum die entscheidende Rolle bei der Verbreitung des aufklärerischen Gedankenguts gespielt zu haben, indem dessen ehemalige Mitglieder trotz der Auflösung ihrer Bewegung im Jahre 1795 ihren Grundsätzen treu geblieben sind und sich in privater Initiative für die Schaffung eines Grundschulwesens und die Förderung armer Kinder wie György Festetics, der als vielfacher Mäzen im Bereich der Künste wie der Industrie auftrat, oder für die Gründung von Bibliotheken und Museen einsetzten wie Ferenc Széchényi, der die nach ihm benannte nationale Bibliothek und das Nationalmuseum stiftete.
Die gesammelten Dokumente erweisen sich demnach vor allem als Zeugnisse, die der Schaffung solcher Institutionen den Weg bereitet haben, indem sie eine gewisse Gleichzeitigkeit geistiger Bestrebungen in ganz Ungarn aufzeigen und Rückschlüsse auf die Verbindungen, die jene ermöglicht haben, zulassen. Sie geben einen Überblick über die Gemeinsamkeiten der Pläne zur Förderung gelehrter Gesellschaften vor Ort, die ihre Impulse der Teilnahme der namhaften ungarischen Aufklärer am Wiener Geistesleben verdanken, das sie wiederum mit Gleichgesinnten anderer Länder in Kontakt bringt. Auf diese Weise erlangen sie Kenntnis von bereits existierenden Institutionen wie die Pariser Académie des Sciences, deren Beispiele den Ansporn und die Inspiration für eigene Projekte liefern. So vielseitig die Entwürfe sein mögen, die hauptsächlich eine Bestandsaufnahme in Kernbereichen der sich neu begründenden Wissenschaften wie der Geschichte und dessen, was wir heutzutage Geopolitik nennen würden, anstreben und sich gegen Ende des Jahrhunderts immer mehr der Sprachpflege als nationalem Gut zuwenden, so deutlich wird auch, welche Hindernisse deren Verwirklichung entgegenstehen. Der 1779 gescheiterte Versuch mit Unterstützung der Patriotischen Gesellschaft von Hessen Homburg eine Patriae Hungaricae et Transilvanicae Societas, ins Leben zu rufen, ist dafür bezeichnend.
Die begrenzten finanziellen Möglichkeiten spielen dabei erstaunlicherweise eine eher zweitrangige Rolle. Im Vordergrund stehen, folgt man Réka Lengyels durch ihre Textauswahl gestützten Ausführungen, die allgemeinen Voraussetzungen des Gesellschaftslebens und der staatlichen Organisation, innerhalb derer der geistige und wissenschaftliche Austausch stattfand. Bis 1780 war nämlich die Beschäftigung mit höheren Studien den säkularen Vertretern der Kirche sowie den Mitgliedern der kirchlichen Orden vorbehalten. Erst nach der Veröffentlichung des Dekrets, das den Zugang zum öffentlichen Dienst und zu amtlichen Berufen nicht mehr nur auf die Aristokratie beschränkte, und nachdem die monastischen Orden aufgelöst wurden, bestand die Möglichkeit für eine Erweiterung der gebildeten und religiös unabhängigen Kreise und wurden somit überhaupt erst die Bedingungen geschaffen, welche die Entfaltung neuer Formen des gelehrten Dialogs denk- und realisierbar erscheinen ließen.
Dennoch dokumentieren mehrere Texte wie Ádám Ferenc Kollárs Brief an Sámuel Dobai Székely (1763) und der Briefwechsel zwischen Ferenc Kazinczy und Márton György Kovachich (1787–1789), dass die grundlegende Problematik der konfessionellen Machtkämpfe zwischen Protestanten und die um die Bewahrung ihrer vom Habsburger Kaiserreich begünstigten Vormachtstellung bemühten Katholiken damit keineswegs aufgehoben wurde und noch über lange Zeit den Zündstoff für Konflikte und Intrigen lieferte, die dem Aufklärungsprozess ein deutliches Hemmnis waren. Sie scheinen in der Tat weitgehend dafür verantwortlich, dass es den ungarischen Gelehrten in der Regel nicht gelungen ist, die Gesellschaften und Zeitschriften, die sie schließlich ins Leben rufen konnten, länger als drei Jahre aufrechtzuerhalten.
Die Abhängigkeit von den autoritären politischen Strukturen erwies sich dabei offensichtlich als zusätzliche Erschwernis. Sowohl Maria Theresia als auch Joseph II. sahen nämlich zwar durchaus die Notwendigkeit der Ausbildung geeigneter Bediensteter zur Modernisierung der Landwirtschaft und zur Förderung der entstehenden Industrie ein, deren Konsequenz eine generelle Reform des Schulwesens von der Grundschule bis zum Gymnasium gewesen wäre, nahmen aber letztlich von der finanziellen Förderung wissenschaftlicher Sozietäten oder Journale Abstand. Zu groß war in ihren Augen die Gefahr, dass die allgemeine Gedankenfreiheit, die sie voraussetzten, sie zu einer Gegengewalt innerhalb der absolutistischen Staatsordnung heranwachsen lassen würde. So erklärt sich, dass alle Anfragen zur Gewährung von Geldern bei den staatlichen Instanzen oder den Monarchen selbst ins Leere gelaufen sind. Maximilian Hells Fehlschlag, seinen „Patriotische(n) Plan einer kayserlich-königlichen zu Wienn zu errichtenden gelehrten Gesellschaft, oder Academie der Wissenschaften“ von 1774 zu verwirklichen, den er schließlich auf Geheiß der Kaiserin entwickelt hatte, der jedoch von ihr zwei Jahre später wegen mangelnden Geldes und entsprechenden Personals komplett verworfen wurde, offenbart, dass einfach schon am Hof selber der politische Mut und Wille zu einer derartigen Förderung öffentlicher Bildung fehlte.
Insofern ist es kaum verwunderlich, dass solche Bestrebungen in Ungarn umso mehr Misstrauen bei den Herrschenden hervorrufen mussten: Die Textsammlung belegt eindrucksvoll, in welchem Klima des Argwohns solche Entwürfe entstanden sind und mit welchen Risiken deren Umsetzung für die Beteiligten verbunden waren, da deren Aktivitäten aufgrund der geopolitischen Lage Ungarns und dessen Geschichte eine besondere Brisanz zukam. Gedankenfreiheit und Pflege der eigenen Sprache und Literatur, Bezugnahme auf identitätsstiftendes Brauchtum und Trachtenwesen lassen sich leicht als Vorbereitungen zu erneuten Unabhängigkeitsbestrebungen interpretieren und ziehen auch dementsprechende Vertreter solcher Tendenzen an.
Während Ferenc Kazinczy, wie aus seiner zahlreichen Korrespondenz mit seinen Freimaurer-Brüdern verschiedener Logen hervorgeht, für die er aktiv rekrutiert, seine zentrale Rolle als Aufklärer behauptet, indem er als Bindeglied zwischen jenen und den wissenschaftlichen Sozietäten fungiert, eindeutig bemüht ist, eine allgemeine geistige Bildung zu propagieren, die der Entwicklung des Landes dient, verbinden andere mit der Freimaurerei radikalere Ziele. Dazu gehören Gergely Berzeviczy, der bereits den Freiheitskampf der ungarischen Nation unterstützt hatte und György Szlávy, der 1795 letztlich als Jakobiner zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Allerdings spiegelt erst die ambivalente Rolle des als „Doppelagenten“ auftretenden Ignác Martinovics die Gefahren, die durch die Zuspitzung der internationalen Lage für die Mitglieder aufgeklärter Zirkel entstehen, die der Manipulierung durch den Wiener Hof ebenso ausgesetzt sind, wie durch Scharfmacher aus den eigenen Reihen, die zu allem Überfluss wie in diesem Fall noch in Personalunion auftreten. Der Gründer zweier jakobinischer Vereine in Ungarn, darunter einem mit dem bezeichnenden Namen „Freiheit Gleichheit Brüderlichkeit“, dessen Ziel es war, den revolutionären Umsturz herbeizuführen, wenn er die Anzahl von 250.000 Mitgliedern erreicht hätte, der ab 1791 bereits seine Brüder in Buda für den Hof in Wien bespitzelte und dort als Illuminaten anschwärzte, ist nach Réka Lengyels Meinung zwar der einzige Fall in Ungarn, wo radikales Gedankengut in die nicht mit jenen in Beziehung stehenden Freimaurerlogen durchsickerte, der jedoch höchstwahrscheinlich 1795 die Zerschlagung der gesamten Bewegung zur Folge hatte. Man kann sich allerdings fragen, ob diese Unterwanderung, welche die europaweite Tendenz darstellte, nicht bloß durch diese frühzeitige Auflösung verhindert wurde.
Auf alle Fälle beleuchtet der Sammelband aus unserer Sicht die Zwickmühle, in die der absolutistische Staat in Ungarn und im gesamten Habsburger Reich immer deutlicher unter dem Druck der Französischen Revolution geraten ist. Sein Misstrauen gegenüber einer sich ihre eigenen Institutionen gebenden Aufklärung hat die Entstehung einer erfolgreichen Kooperation zwischen dem Hof und Vertretern der Wissenschaften zur strukturellen Modernisierung des Bildungs- und Amtswesens im Keim erstickt. Dass eine solche Politik insbesondere in einem Land wie Ungarn, das seine eigenen Unabhängigkeitsbestrebungen nie aufgegeben hat und für das jede Integration in internationale geistige Bewegungen eine Form der Emanzipation verhieß, über kurz oder lang aus einem gegebenen Anlass nur zur Radikalisierung der aufgeklärten Kräfte in Geheimbünden anstatt von offenen Versammlungen führen musste, erscheint eigentlich rückblickend als die logische Konsequenz unüberbrückbarer Gegensätze, die sich wegen des staatlichen Immobilismus zu solchen entwickeln konnten. Die verschärfte Reaktion der Obrigkeit deutet nach unserem Dafürhalten denn auch vor allem darauf hin, dass sie sich angesichts der sich im Namen der Aufklärung ausbreitenden Gefahr der politischen Rebellion der Macht deren geistiger Netzwerke derart bewusst war, dass sie davon ausging, den Anfängen unmittelbar wehren zu müssen.
So mag das Textbuch zwar mit dem Fehlschlag aller Versuche abschließen, in Ungarn das Geistesleben in institutionalisierte Bahnen zu lenken, die einen Austausch auf gleicher Ebene mit dessen Vertretern in anderen Ländern und eine eventuelle Beraterfunktion gegenüber den Herrschenden ermöglicht hätte, es dokumentiert dennoch, dass es solche Bemühungen gab, die nicht ohne Folgen blieben, weil sie letztlich dafür sorgten, dass das Land niemals den Kontakt zur europäischen Aufklärung verloren hat, auch wenn die praktische Verwirklichung von deren Ideen zeitverzögert stattfand. György Bessenyeis Entwurf für eine Ungarische Akademie von 1781 dient insofern 1825 dem Parlament als Ausgangspunkt für die Pläne zur heutigen Akademie der Wissenschaften, die umso mehr den krönenden Abschluss einer Entwicklung darstellt, als ihre Gründung dank der finanziellen Unterstützung von Ferenc Széchényis Sohn, István, möglich wurde.
Aus unserer Perspektive ist im Sinne einer Schlussbemerkung von Bedeutung, dass sich scheinbar am Ende doch György Arankas Position einer Einheit der enzyklopädischen Wissenschaften durchgesetzt hat, die Sprach- und Naturwissenschaften nicht voneinander trennt und die dem heutzutage leider verdrängten und vernachlässigten Grundsatz entsprach, dass die Beherrschung der entsprechenden Ausdrucksfähigkeiten die Voraussetzung für jegliches Denken und dessen Vermittlung auf welchem Gebiet auch immer darstellt. Sein Plädoyer für die Pflege und Ausbildung der Nationalsprache zu einem homogenen, den neuen Disziplinen angepassten Verständigungsmittel, das keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem gelehrten Austausch und der Vulgarisierung macht, erscheint uns als ein zeitloses Manifest, dessen Thesen heutzutage aktueller denn je sind, da sie betonen, dass ohne Sprach- das heißt Textkultur keine Aufklärung möglich ist, und Bildung als sozialer Integrationsfaktor entscheidend ist.
Die Besonderheit des Bandes, der erst 2011 komplett dechiffrierte Freimaurertext, den Ádám Pálóczi Horváth entdeckt, aufbewahrt und teilweise entschlüsselt hat, hebt jene Untrennbarkeit der integrativen Funktion der Sprache hervor, die die gedankliche Fähigkeit, voraussetzt, sich in eine Ordnung einzugliedern, von der Veranlagung des Menschen zur Sozialisation, die Erkenntnis und Selbstbestimmung im Rahmen symbolischer Strukturen aufeinander bezieht. Aus jenem Inhalt könnte sich unserer Meinung nach zumindest hypothetisch seine Verklausulierung erklären, denn er vermittelt schließlich eine kapitale, für die Zeit seiner Entstehung höchst brisante Idee, dass im Freimaurertum die Quintessenz der Menschheit begründet liegt, während er, wie uns scheint, für die heutige Zeit vor allem in zweierlei Hinsicht bemerkenswert ist. Er unterstreicht den unvergleichlichen Anspruch dieser Bewegung, die Synthese aller Weltkulturen zu erreichen, in deren Erbe sie sich stellt, während sie gleichzeitig einer sich auf die Sprache und deren symbolische Intelligenz berufenden Aufklärung ebenso eine theoretische Legitimation wie das Modell einer Vergesellschaftung liefert, deren Ordnung auf der sich in Taten beweisenden geistigen Entwicklung der einzelnen Mitglieder beruht. Die Verknüpfung beider Dimensionen, die Platos Gnoti Seauton mit einer Philosophie der praktischen Erkenntnis vereint, rehabilitiert die zentrale Funktion der Dichtung als veranschaulichte Wirksamkeit der Ideen und entwirft das Bild einer poetischen Vereinigung im ursprünglichen Sinne des Wortes, die mit ihrem Textverständnis versucht, den ursprünglichen Geist der Weisheit im Menschen wiederzuerwecken und durch immer neue Herausforderungen zu befördern, auf dass sich die Unzertrennlichkeit von Wissen und Selbsterkenntnis im für das Gemeinwohl sinnvolle Handeln des Einzelnen beweise.
Aus diesem Grunde ist für uns dieses Dokument das Herzstück des Kompendiums, dessen Verdienst es ausdrücklich ist, ein Arbeits- und Forschungsbuch denjenigen zur Verfügung zu stellen, die sich einen Überblick über die gelehrten Gesellschaften und die Freimaurer-Vereinigungen im Kontext des damaligen ungarischen Geisteslebens verschaffen möchten. Die Kurzbiographien und die sorgfältige Bebilderung machen es zu einer angenehmen und bereichernden Lektüre, deren Einleitung aufschlussreiche Vorschläge zur Erweiterung des Corpus auf editorischer wie interpretatorischer Ebene formuliert und somit darauf hinweist, dass hier ein Anstoß gegeben werden soll, indem gezielt um Interesse für ein Gebiet geworben wird, das durch eine neue Kontextualisierung erweitert und vertieft werden kann. Verständlicherweise beschränkt sich die Verfasserin des Vorworts auf Ungarn und verweist auch nur kaum auf Mitteleuropa. Sie entspricht damit den eigenen Vorgaben der Publikation, deren Grenzen sie ausdrücklich betont, indem sie selbst auf ein Manko aufmerksam macht, dass einer ausländischen, westeuropäischen Forscherin unmittelbar auffallen muss: der so gut wie völlig fehlende Versuch, auch nur ansatzweise diese Texte mit den gut erforschten Zeugnissen aus Frankreich, Deutschland, England und Nordamerika in Zusammenhang zu bringen und deren Bedeutung über die nationalen Grenzen hinaus besser zu bestimmen, hinterlässt eine leichte Unzufriedenheit, die natürlich auch positiv als Ansporn zu eigenen Initiativen der Auseinandersetzung mit den Formen der Aufklärung aus komparatistischer Sicht begriffen werden kann. So ist eigentlich nur, auch gerade aus dieser Perspektive zu bedauern, dass die Qualität der englischen Übersetzung der bisher nur auf Ungarisch zugänglichen Texte deren literarischer Subtilität nicht gewachsen ist.
Das 18. Jahrhundert verdankt seine geistige Entwicklung maßgeblich nicht nur der Mehrsprachigkeit seiner Eliten sondern auch deren Bemühungen um die für ihre Vulgarisierungsbestrebungen unentbehrliche Förderung der Nationalsprache, die der Band selbst dokumentiert. Dies markiert die Entfaltung einer Übersetzungskultur, die in der Romantik, die sie zur Kunst erhebt, ihren Höhepunkt erreicht. Leider ist jener Aspekt unter dem Druck ökonomischer Zwänge, die bei der Durchsetzung des Englischen als wissenschaftliche Kommunikationssprache aus unserer Sicht mithineinspielen, in unserem digitalisierten Zeitalter ins Hintertreffen geraten. Dessen strategische weltweite Verbreitung als praktisches Verständigungsmittel in allen Lebenslagen, insbesondere für den Tourismus, führt zu einer gewissen Gläubigkeit in dessen technisch vermittelte Universalität, die ein Idiom erzeugt, das mit der Nationalsprache Englisch, nicht mehr allzu viel zu tun hat. György Arankas Ratschläge für das Ungarische ließen sich denn auch wohl ebenfalls wider die von vielen Muttersprachlern und Anglisten beklagte Selbstentfremdung der Weltsprache anwenden. Deren Reliterarisierung erscheint uns jedenfalls als notwendiger Teil der Bekämpfung aktueller gegenaufklärerischer Tendenzen, die auf dem Irrglauben beruhen, dass Kommunikation und Verständigung das Gleiche sind, und dementsprechend Sprache als Möglichkeit der dialogischen Auseinandersetzung mit dem Anderen ebenso ignorieren wie die Aufforderung des „Sapere aude“, da das Denken selbst einer scheinbar selbstverständlichen Sachlichkeit gegenüber diskreditiert wird.
Die Sprachenvielfalt, die der Band lobenswerter Weise im Geiste der Aufklärung beibehält, zeugt von einer gewachsenen Tradition des wissenschaftlichen Austauschs, die aus den damaligen Machtverhältnissen hervorgegangen ist, in die sich die ungarischen Gelehrten einfügen mussten, wenn sie an den geistigen Entwicklungen Europas teilhaben wollten. Die Hinzufügung des Englischen als solches ist also prinzipiell mehr als legitim, die Art und Weise wie sie erfolgte, deutet zunächst einmal darauf hin, dass dessen Status jüngerer Natur ist, und es der Schaffung der Strukturen und einfach der Praxis bedarf, um den Rückstand in dessen Beherrschung als Kultursprache im Rahmen der Integration in die europäische Wissensgemeinschaft auf durchdachte Weise zu reduzieren und die spezielle Geschichte Ungarns dazu zu nutzen, um der von Claude Hagège [Le Souffle de la langue : voies et destins des parlers d’Europe, Paris 1992.] als Charakteristik eines modernen, geistig eigenständigen Europas – zusätzlich zur Muttersprache ‒ angestrebten Dreisprachigkeit in Französisch, Deutsch und Englisch mit zum Durchbruch zu verhelfen.
Für die gebildeten Vertreter der Aufklärung war diese Mehrsprachigkeit eine Selbstverständlichkeit, und an diesem Beispiel wird deutlich, dass die von diesem Sammelband für Ungarn aus historischer Sicht aufgeworfenen Fragen bis hin zur Methodendiskussion auf die heutige Problematik des Erbes dieser Bewegung ebenso wie auf die der Modernisierung der aus ihr hervorgegangenen Institutionen aufmerksam machen, deren Legitimation durch eine völlig veränderte Einschätzung des Wissens nach seiner kommerziellen Verwertbarkeit und durch dessen ungeregelte, unverantwortete Verbreitung gefährdet wird. Aus unserer Sicht hätte diese Textsammlung im Vorwort eine breitere geschichtliche und literarische Einordnung verdient, die die internationalen Anknüpfungspunkte zumindest angedeutet hätte und insofern auch in seinem Ausblick die aus den präsentierten Entwürfen und Bemühungen hervorgegangene Gründung der Akademie der Wissenschaften mit deren Bedeutung und Verpflichtung für die Gegenwart in Verbindung gebracht hätte. Dies ist keine Kritik, es ist eine Folgerung, die sich einer französischen Literaturwissenschaftlerin bei der parallelen Betrachtung von Bessenyeis und Arankas Texten anbietet, insofern als die bemerkenswerten Werke Tzvetan Todorovs1
1 Das für unsere Zwecke repräsentativste Werk ist sicher: Tzvetan Todorov: L’Esprit des Lumières, Paris 2006. Sein ganzes Denken kreist jedoch um die Vermittlung der Aufklärung von der Beschäftigung mit Rousseau in Frêle Bonheur : essai sur Rousseau, Paris 1985 bis hin zu La Peur des barbares : au-delà du choc des civilisations, Paris 2008.
schon seit mindestens zehn Jahren auf die Notwendigkeit hinweisen, sich auf die Errungenschaften der Aufklärung für die Erarbeitung eines zeitgemäßen europäisches Weltbildes zu besinnen, das Allgemeinbildung mit kritischer Aufgeschlossenheit vereint und die persönliche Dialogfähigkeit als unabdingliche Grundlage einer sinnvollen Erkenntnis betont. Mit ihrem eigenen Vulgarisierungsanspruch, der viele von ihnen leicht zugänglich macht, setzten sie Maßstäbe zu der Erneuerung, als deren Anstoß sie sich verstehen.
Das Beispiel Ungarns, dessen Partikularität im Rahmen des Habsburger Reiches in seiner Vermittlerrolle bei der Verbreitung aufgeklärter Ideen hauptsächlich aus Frankreich und Deutschland bis nach Mitteleuropa das für die Tagung erarbeite Kompendium unterstreicht, lässt sich gewiss nicht mit der Bedeutung der Frankophonie vom Ausmaß her vergleichen. Dennoch wecken gerade die weit unterschätzten Publikationen von Dominique Wolton, insbesondere L’Autre mondialisation, Paris 2003 und Demain la francophonie, Paris 2006, Assoziationen mit den aufgeklärten Erwägungen einer sprachlich gegründeten Selbständigkeit innerhalb einer von kultureller Vielfalt geprägten Globalisierung, die sich nur entfalten kann wenn sie sich nicht auf einen vertikalen Herrschaftsanspruch beruft, sondern auf eine dezentrale Vermittlung, die Kreativität und Austausch dauerhaft und verlässlich strukturell unterstützt. Das bedeutet auch, dass konsequenterweise nicht nur der Imperialismus als multiple Konfliktursache im Sinne des kritischen Geistes der Aufklärung hinterfragt wird und das eigene Erbe im Sinne der Selbsterkenntnis aufgearbeitet wird. Mit seinen Büchern hat Erik Orsenna2
2 Erik Orsenna ist der Autor einer Reihe, die den Anspruch auf ein modernes literarisches Enzyklopädieverständnis in Verbindung mit der Analyse des kapitalistischen Systems anhand von gezielt ausgewählten Beispielen vertritt. Unter dem Titel Petit précis de mondialisation I bis IV hat er folgende Bände veröffentlicht: Voyage aux pays du coton, Paris 2006, L’Avenir de l’eau, Paris 2008, Sur la Route du Papier, Paris 2012, Géopolitique du moustique, Paris 2017.
dazu beigetragen, dem Aufgabenverständnis der Académie Française eine neue Dimension zu verleihen, indem er weit über die Sprachpflege hinaus, die enzyklopädische Tradition der Auseinandersetzung mit kulturellen Schlüsselbegriffen in die Entwicklungsgeschichte des Kapitalismus eingebunden hat. Amine Maalouf,3
3 Amin Maalouf: Un fauteuil sur la Seine Quatre siècles d’Histoire de France, Paris 2016. Aus der Perspektive unserer Argumentation erscheint uns natürlich der Untertitel als besonders bedeutsam!
der Autor des bemerkenswerten Essays über die Identités meurtrières hat gleichermaßen seine Berufung in die Académie Française zum Anlass genommen, in einem historischen Roman seine eigene Integration in jene Institution als Schriftsteller libanesischen Ursprungs symbolisch zu vollziehen, indem er die Lebensgeschichten all seiner 18 Vorgänger seit 1634 auf dem 29. Sitz, auf den er gewählt wurde, anschaulich als das Abenteuer menschlicher Vielfalt schildert. Beide demonstrieren auf ihre eigene Weise durch ihre Veröffentlichungen den geistigen Wandel ihrer Institution und zeugen davon, dass sie weiterhin an die Kraft der Aufklärung durch Wort und Text glauben, und dass Fiktion keine Antinomie zur Erkenntnis bildet, im Gegenteil ein anderer Weg ist, sie zu vermitteln und vielleicht auch eine andere Art von Weltverständnis zu wecken. Insofern mögen es zwar hier persönliche Initiativen einzelner Académie-Mitglieder sein, da Dichtung nun einmal individueller Natur ist. Nichtsdestotrotz belegt die Erklärung des Muséum d’Histoire Naturelle mit seinem 2017 erschienenen französisch-englischen Manifest,4
4 Manifeste du Muséum Quel futur sans nature?, Paris 2017.
dass die das aufgeklärte Erbe vertretenden Institutionen sich der Notwendigkeit bewusst sind, ihre Richtlinien zu überprüfen und anzupassen, um sich in die Lage zu versetzen, offensiv an öffentlichen Debatten zu aktuellen gesellschaftlichen Themen teilzunehmen und dabei zu beweisen, dass ohne Naturgeschichte moderne Forschung weder denk-noch machbar ist sowie zur Begründung ethischer Prinzipien unabdingbar ist. Mit dem Hinweis auf die Enzyklopädisten und deren Leistung für eine kritische Öffentlichkeit betonen die Verfasser, dass die Komplexität der gegenwärtigen Informationsprozesse regelrecht nach einer unvoreingenommenen, unabhängigen Erziehung verlangt, die auf der Grundlage von wissenschaftlicher Erkenntnis die Voraussetzung für eine fundierte weltoffene Meinungsbildung schafft.
Die in mehrerer Hinsicht bedeutende Stellungnahme, deren Anlass der Rückzug der Vereinigten Staaten unter Donald Trump von den Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens ist, stellt neue Anforderungen an alle Vertreter einer aufgeklärten Gesellschaft, die sich mit einer Vielzahl von Strategien gezielter Desinformation konfrontiert sehen, hinter denen immer schwerer zu identifizierende Geldgeber und Interessenverbände stehen. Das Manifest erinnert in der Tat an die wichtigsten Grundlagen einer Wissenschaftsethik, die die Gesamtverantwortung für persönliches und öffentliches Handeln seit jeher bedingen, und deren Prinzipien in ihrer Geltung unantastbar sind, da sie sich über Jahre der Entwicklung bewährt haben, ruft aber angesichts deren gezielter Anfechtung, zu einer konzentrierten Aktion auf, die Geistes- und Naturwissenschaftler gemeinsam mit Künstlern zur Verteidigung eines auf unabhängigem Denken und toleranter Vernunft beruhenden Allgemeinwohls einlädt, um ein Gegengewicht zum freien Spiel der weit potenteren marktwirtschaftlichen Interessen, aber auch gegenüber militanten Organisationen aller Art zu bilden, die die freie Meinungsäußerung missbrauchen oder unterdrücken. Der Text, der sich explizit zu einem erweiterten Naturwissenschaftsbegriff bekennt, der Erkenntnisse aus anderen Erfahrungs- und Kulturwelten mitberücksichtigt, ist ein Appell, weit über die Verantwortlichen des Museums und das Abonnentenpublikum von dessen Schriftenreihe hinaus, die Bedingungen für eine kritische Öffentlichkeit wiederherzustellen. Mit der ausdrücklichen Berufung auf das enzyklopädische Erbe und der Verpflichtung zu dessen Vermittlung betonen denn auch die Autoren ihre Absicht, mit all den ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, insbesondere denen des Muséum d’Histoire Naturelle, als Katalysatoren der Aufklärung und der Vulgarisierung vor allem gegenüber der Jugend zu wirken.5
5 Das Manifest folgt nur wenig später auf den stärker auf Konsens ausgerichteten Appell der Pariser Académie des Sciences zu ihrem 350 jährigen Bestehen, der im September 2016 von insgesamt 57 Akademien der Wissenschaften unterzeichnet wurde, und der deutlicher auf die Bekämpfung der durch ethisch fragwürdige Experimente erzeugten der Wissenschaftsfeindlichkeit abzielte, jedoch sich auch explizit auf die Grundwerte der Aufklärung bezog. „L’objectif de ce manifeste est de réaffirmer les valeurs portées par la science et la recherche scientifique : l’universalisme, la tolérance, l’esprit critique, la soif de connaître et de comprendre”, so der Leiter der Académie, Bernard Meunier.
Es ist zu früh, um die Resonanz dieses Aufrufs zu bewerten, es steht leider zu vermuten, dass seine momentane Bedeutung nicht die der Entwürfe des Ungarn gewidmeten Sammelbandes drei Jahrhunderte zuvor übertreffen wird, aber wie jene zeugt er trotzdem von der Vitalität des aufklärerischen Gedankenguts, dass die wissenschaftlichen Gesellschaften vertreten, und von dem unleugbaren Wichtigkeit, außeruniversitärer Strukturen, um den gelehrten Dialog in Gang zu halten und neue zeitgemäße Formen zu dessen größerer Verbreitung zu erarbeiten, die über den konventionellen Lehrbetrieb hinausgehen und innovatives Denken fördern. Insofern sei mit dieser Rezension auch abschließend der Bogen dazu gespannt, jene kühnen Vorschläge von damals, deren Interesse für die heutige Zeit ihre Veröffentlichung unterstreicht, zum Anlass der Publikation einer auf die Zukunft gerichteten Sammlung zu nehmen, die den Anstoß zur Verfassung gegenwärtiger Überlegungen und zur Realisierung spezifischer Projekte liefern würde, die auf nationaler und internationaler Ebene eine Bestandsaufnahme ermöglichen und zur Wiederbelebung eines integrativen Wissenschaftsbegriffes beitragen würde, von dessen gesellschaftlicher Anerkennung in den jeweiligen Ländern und Kulturen mehr denn je die Zukunft der Menschheit abhängt.
Béatrice Dumiche Paris ‒ Université de Reims Champagne-Ardenne
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